
Klaus-Ludwig Schulz und Sigmar Gabriel in der Berta-Jourdan-Berufsschule
Frankfurter Allgemeine Zeitung 05. Februar 2011
Ein Parteichef macht sich schlau
Frankfurt braucht dringend Erzieherinnen. Die Berta-Jourdan-Berufsschule soll sie hervorbringen. Wie das gelingen kann, hat
sich SPD-Chef Sigmar Gabriel erzählen lassen. Der frühere Lehrer
hat dabei etwas gelernt.
Von Hans Riebsamen, Frankfurt
Ingeborg Schroeder hat bei einem Treffen vor einiger Zeit Sigmar Gabriel kurzerhand in ihre Schule eingeladen. Und der SPD-Chef hat sich tatsächlich die Zeit genommen. Viel Zeit sogar. Fast drei Stunden lang hat sich der frühere Deutschlehrer von der Schulleiterin das Konzept der Berta-Jourdan-Schule erklären lassen und hat mit angehenden Erziehern über ihre Hoffnungen und Nöte gesprochen.
Mit allein 900 Schülern, die sich auf eine Tätigkeit in Kitas, Horten und Krippen vorbereiten, ist die Schule an der Adlerflychtstraße im Nordend die größte Ausbildungsanstalt für Erzieher in Hessen. Die Stadt Frankfurt, welche die Schulgebäude in den vergangenen Jahren für zehn Millionen Euro hat sanieren lassen, setzt große Hoffnungen in diese Berufsschule mit ihren insgesamt knapp 1700 Schülern. Kurzerhand hat die Kommune vor kurzem hier die Zahl der Ausbildungsplätze verdoppelt, um jene Mitarbeiter zu bekommen, die sie schon jetzt dringend benötigt und die in Zukunft in noch größerer Zahl gebraucht werden.
Nicht jeder kann Erzieher werden
Denn Frankfurt soll nach dem Willen der schwarz-grünen Regierungskoalition „Familienstadt“ werden. Das erfordert unter anderem bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren. Für sie, so hat es das Stadtparlament im Sommer 2009 beschlossen, sollen 6000 zusätzliche Betreuungsplätze eingerichtet werden. Dafür braucht Frankfurt jede Menge Erzieher. Das gilt im Übrigen auch für andere Kommunen im Land, denn vom 1. August 2013 an gibt es für Kinder von einem bis drei Jahre einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Einrichtung.
Nicht jeder kann Erzieher werden. Um einen Ausbildungsplatz in der Berta-Jourdan-Schule zu bekommen, braucht man einen Realschulabschluss und eine Berufsausbildung oder Berufserfahrung. Und man muss eine Zulassungsprüfung ablegen. „Das finde ich gut“, sagt Gabriel. Schließlich sei Erzieher ein verantwortungsvoller Beruf. Eine Akademisierung lehnt der SPD-Politiker freilich ab, Erzieher müssten nicht an einer Hochschule studieren, glaubt er. Die Erzieher sind natürlich in der Regel Erzieherinnen. Männer stellen nur acht bis zehn Prozent der Auszubildenden an der Berta-Jourdan-Schule. Und das sei im Vergleich zu anderen Schulen noch eine hohe Quote, sagt die Schulleiterin.
Gabriel: Zuwanderer sind eine riesige Chance
Er habe gehört, dass 70 Prozent der Frankfurter Kinder aus Zuwandererfamilien stammten, sagt Gabriel. Ob dies auch für die angehenden Erzieherinnen gelte? Schulleiterin Schroeder hätte gar nicht antworten müssen, denn kurze Zeit später kann sich der Politiker selbst ein Bild machen. Gabriel sitzt da schon mit 20 Schülern am Tisch. Es sind meist erwachsene Frauen aus Iran, Indien, der Türkei und anderen fremden Ländern. Beim Zuhören merkt man schnell, wo die Schwierigkeiten liegen. Nicht alle können ihr Anliegen in einem leicht verständlichen Deutsch vortragen.
Sie, die Zuwanderer, seien für Deutschland eine riesige Chance, sagt Gabriel zu ihnen. Denn dem Land fehlten zunehmend junge Leute, man müsse sich über jeden gut Ausgebildeten freuen. In der Polizei, in der Justiz, in den Krankenhäusern, überhaupt im ganzen Staatsapparat gebe es zu wenige Migranten oder Kinder von Migranten. Selbstkritisch merkt er an, dass auch im Bundesvorstand seiner SPD nicht ein einziger Zuwanderer zu finden sei.
Er sei gekommen, um sich schlauer zu machen, hatte der Parteivorsitzende den Erziehern in spe und ihren Ausbildern am Anfang gesagt. Tatsächlich hört Gabriel viel zu, fragt fast immer nur kurz etwas nach. Sie und viele ihrer Mitschülerinnen hätten in ihrem Heimatland schon eine Ausbildung gemacht, die aber von den deutschen Behörden nicht anerkannt werde, klagt eine Iranerin. „Was schlagen Sie vor?“, fragt Gabriel. Dass zumindest Teile der Ausbildung anerkannt werden, entgegnet die Frau. Eine generelle Anerkennung könne es nicht geben, denn oft seien die Abschlüsse nicht vergleichbar, stellt der SPD-Mann klar. Aber er ist überzeugt davon, dass es Migranten mit ihren Berufsabschlüssen und Diplomen künftig einfacher haben werden. Denn Menschen mit Qualifikationen werden Gabriel zufolge in Deutschland rarer.
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Presse:
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.02.2011
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Frankfurter Rundschau, 29.03.2006
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Frankfurter Neue Presse, 24.03.2006
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Politisches Engagement Es bleibt alles in der Familie
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Frankfurter Neue Presse, 17.03.2006
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Frankfurter Rundschau, 31.01.2006
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2001
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Frankfurter Rundschau, 2001
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Höchster Kreisblatt, 1999
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Frankfurter Neue Presse, 1995
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